Ines Maria Eckermann
- All things communication -

KI vs. Ignoranz:
Warum wir künstliche Intelligenz nicht ignorieren können

KI, Philosophie und die Angst vor dem Neuen

 

Kürzlich hörte ich, wie einige meiner Philosophie-Kollegen sich kämpferisch gegen auf die Barrikaden schwangen: „Zusammen werden wir Künstliche Intelligenz bekämpfen!“ Und sie schienen sich sicher, dass dies möglich sei. Woher kommt die Angst vor neuen Technologien wie die Künstliche Intelligenz (KI)? Und können wir sie wirklich dadurch bekämpfen, dass wir sie ignorieren? 

Die ganze Diskussion erinnert mich stark an Sokrates, der sich vor über zwei Jahrtausenden mit Händen und Füßen gegen die Einführung der Schriftsprache zur Wehr setze. Er glaubte, dass das Schreiben die Fähigkeit des Menschen zu denken und zu erinnern schwäche. Ironischerweise wissen wir jedoch nur von Sokrates Gedanken, weil sein Schüler Platon sie brav aufgeschrieben hat. 

Hier zeigt sich ein interessantes Paradoxon: Ein bedeutender Denker, der die Schrift ablehnte, wird nur durch eben diese konserviert und überliefert. Dieses historische Beispiel zeigt, dass sich technologische und kulturelle Entwicklungen nicht einfach durch Ignorieren auslöschen lassen. Vielmehr tragen sie zur Evolution unserer Gesellschaft bei, oft auf unvorhersehbare Weise.

"Glaub nicht alles, was du im Internet liest."

Aristoteles

(384 v. Chr. – 322 v. Chr.)

Technologie: Ein unaufhaltsamer Fortschritt

Technologie entwickelt sich nicht im Vakuum. Jede Innovation baut auf den vorhergehenden auf, wie ein riesiger Schneeball, der immer größer wird. Das Ignorieren von Technologie, besonders von etwas so Mächtigem wie KI, ist wie der Versuch, die Zeit anzuhalten. KI ist bereits in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens präsent: von personalisierter Werbung über Sprachassistenten bis hin zu medizinischen Diagnosen.

 

Ein gutes Beispiel ist das Internet. In den frühen 1990er-Jahren war das Internet für viele ein mysteriöses und weitgehend ignoriertes Phänomen. Heute ist es eine unverzichtbare Infrastruktur. Ähnlich verhält es sich mit der KI: Ihre Entwicklung und Integration in unser Leben ist unvermeidlich und wird weitergehen, egal ob wir sie aktiv wahrnehmen oder nicht.

 

Die Illusion der Kontrolle durch Ignoranz

Kontrolle ist eine Illusion. Zumindest in den meisten Fällen. Weder ist es einfach andere Menschen zu ändern, noch unsere eigenen Gewohnheiten. Wenn wir ehrlich zu uns sind, liegen eigentlich verdammt wenige Dinge in unserer Kontrolle. Deshalb ist sie auch eine so schöne Illusion. 

Wenn sich kämpferische Philosophen also zusammenrotten, um KI abzuschaffen, dann gibt ihnen das das Gefühl von Kontrolle. Dadurch erleben sie das wohlige Gefühl der Selbstwirksamkeit und des aktiven Vordenkens. 

Doch mir erscheint dieses Vorhaben überaus naiv. Denn wie schon Sokrates versuchte etwas aufzuhalten, das sich nicht aufhalten ließ, scheinen auch heute noch Philosophen ihre Kraft auf das Weg-Ignorieren des Unaufhaltsamen zu vergeuden. Doch auch hier wussten die Stoiker Rat: Sie glaubten, dass wir keine Energie auf Dinge verschwenden sollten, die wir nicht ändern können. Stattdessen können wir uns auf das konzentrieren, was in unserer macht liegt und uns mit dem Anfreunden, das wir akzeptieren müssen. 

 

Die Rolle der Bildung und des Diskurses

Ein zentraler Aspekt im Umgang mit KI ist Bildung und öffentlicher Diskurs. Sokrates förderte den Dialog und die kritische Auseinandersetzung. Auch wir sollten uns aktiv mit KI beschäftigen, ihre Vorteile und Risiken diskutieren und uns weiterbilden. Nur so können wir eine fundierte Meinung bilden und die Entwicklung positiv beeinflussen.

Philosophen wie Sokrates lehrten uns, die Dinge zu hinterfragen und nicht alles als gegeben hinzunehmen. Diese Denkweise ist essenziell im Umgang mit neuen Technologien. Wir müssen die ethischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen von KI untersuchen und Rahmenbedingungen schaffen, um ihre positiven Aspekte zu maximieren und negative Folgen zu minimieren.

Die Unvermeidlichkeit der Veränderung

Die Hoffnung, dass KI einfach verschwindet, wenn wir sie ignorieren, ignoriert die unvermeidliche Natur des Wandels. Veränderungen sind ein grundlegendes Merkmal des Lebens. Und natürlich bringt KI eine riese Menge an Problem und Herausforderungen mit sich. Etwa die Frage, ob Menschen wie ich bald alle arbeitslos sind, weil die KI schreiben und zeichnen kann und sogar Gedichte verfassen kann. Auch die Frage nach dem Urheberrecht ist bis heute nicht geklärt. Doch sich als Reaktion darauf die Technologie einfach nur wegzuwünschen, ist – gelinde gesagt – naiv. 

Ein historisches Beispiel hierfür ist die Industrialisierung. Auch hier gab es zahlreiche Widerstände und Ängste, die berechtigt waren. Dennoch hat sich die Technologie gegen alle Widerstände durchgesetzt. Vielleicht sollten wir es hier mit den Stoikern halten: Sie glaubten, dass sich alles in gut, schlecht und adiaphora einteilen ließ. Dinge sind also immer gut wie Liebe oder Frieden, oder immer schlecht wie Hass. Und dann gibt es noch die große Maße der Dinge, die je nach dem mal gut, mal schlecht und mal neutral sind. Kurz: Genauso wenig wie die Dampfmaschine eine teuflische Erfindung war, die aus purer Bosheit den Kapitalismus vorangetrieben hat, ist auch die KI ist nur so gut oder so schlecht, wie wir sie machen. Sie ist ein Werkzeug und kein autonomer Herrscher. 

Warum Ignorieren keine Lösung ist

Die Philosophie lehrt uns, dass Ignoranz nicht zur Lösung von Problemen beiträgt, sondern sie oft verschärft. Künstliche Intelligenz ist ein mächtiges Werkzeug, das unser Leben grundlegend verändern kann – zum Besseren oder zum Schlechteren. Anstatt zu hoffen, dass sie verschwindet, sollten wir uns aktiv mit ihr auseinandersetzen, ihre Möglichkeiten und Gefahren verstehen und eine verantwortungsbewusste Haltung einnehmen.

 

Sokrates Paradoxon zeigt uns, dass selbst die größten Skeptiker letztlich von den Technologien profitieren können, die sie ablehnen. Wir sollten diese Lektion ernst nehmen und nicht den Fehler machen, unsere Augen vor der Realität zu verschließen. Nur durch Aufklärung, Dialog und aktive Beteiligung können wir die Zukunft der KI in die Hand nehmen und sicherstellen, dass sie im Dienst der Menschheit steht.

In einer Welt, die sich ständig weiterentwickelt, ist es nicht nur naiv, sondern auch dumm, zu hoffen, dass etwas so Transformatives wie KI einfach verschwindet. Stattdessen sollten wir uns der Herausforderung stellen, uns weiterbilden und aktiv daran arbeiten, die Zukunft mitzugestalten. Denn die Geschichte hat uns gelehrt, dass Fortschritt unvermeidlich ist – und es liegt an uns, ihn in die richtige Richtung zu lenken.

Fotografin: Foto von Charles Deluvio 

Gefunden auf Unsplash.com

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