Ines Maria Eckermann
- All things communication -

Komplexes einfach erklären -
Wie geht Wissenskommunikation?

Wissenschaftsjournalismus 101

Wissenschaft verständlich erklären:

10 Tipps für guten Wissenschaftsjournalismus

Beziehungskiller Margarine: Wer viel Margarine isst, wird bald die Scheidungsunterlagen unterschreiben müssen. Das zumindest legen Studien nah. Doch bringt wirklich das Streichfett die Ehen im US-Bundesstaat Main ins Schlingern – oder ist es der schmierige Journalismus?

Komplexe Inhalte verständlich und vor allem sachlich richtig zu erklären, ist eine Kunst für sich. Denn es braucht Hintergrundwissen und das nötige Handwerkszeug. Nur wer weiß, wie Studien zu verstehen sind, kann sie auch korrekt übersetzen. 

Mit diesen 10 Tipps ist im Wissenschaftsjournalismus alles in Butter. 

Wissen und Handwerkszeug

Kennst du den Social-Media-Kanal Faktastisch? Falls ja, dann kennst du eine sehr drastische Weise, Studien verkürzt oder sogar falsch darzustellen. Doch auch in klassischen Nachrichtenredaktionen schrumpfen wissenschaftliche Studien oft zu gut klickbaren Wissensstummeln zusammen. Das liegt unter anderem daran, dass sich jeder Mensch einfach Journalist oder Journalistin nennen darf. Der Berufstitel ist nicht geschützt und so ist auch keine offizielle Ausbildung vorgeschrieben. Ohne ein Studium des Wissenschaftsjournalismus oder ein fundiertes wissenschaftliches Hochschulstudium, fehlt es oft schlicht am Handwerkszeug, um eine Studie richtig auszuwerten.

Auf Plattformen wie eurekalert.org finden Medienschaffende neue Forschungsergebnisse als fertig aufgearbeitete Nachrichten. Entsprechend können wissenschaftliche Daten auch ohne Blick in die zugrunde liegende Studie in der Lokalzeitung landen. Wer dagegen journalistisch sorgfältig arbeiten möchte, sollte immer auch in die Originalquelle schauen. Genauso gehen beispielsweise auch Doktorand:innen und Forschende vor, wenn sie eine wissenschaftliche Arbeit verfassen. Deshalb kann ein Fachstudium oder eine gute Grundlage für wissenschaftsjournalistisches Arbeiten sein. Als Alternative zu einem jahrelangen Studium können Crash-Kurse sein, die immer mehr renommierte Universitäten online anbieten.

In E-Learning-Kursen erklären die Unis Medienschaffenden, wie sie Studien lesen und korrekt auswerten können. Aber auch Bücher können das nötige Handwerkszeug liefern.

Fragen, fragen, fragen...

Sicher hast du schon mal den Spruch gehört: Wer fragt, der führt. Das stimmt auch und vor allem für den Wissenschaftsjournalismus. Denn wir dürfen gerne hartnäckig nachfragen, bis wir das Thema wirklich um Detail verstanden haben. Auch wenn Einstein meinte, dass Wissenschaftler:innen ihr Thema nur wirklich verstanden haben, wenn sie es einem sechsjährigen Kind erklären können, sind in der Praxis nur bei wenigen Forschenden wirklich gut darin, ihre Forschung allgemeinverständlich darzustellen.

Wissenschaftler:innen sind selten Medienprofis – und Medienprofis selten Wissenschaftler:innen. Deshalb helfen wir Wissenskommunikator:innen ihnen beim Erklären, indem wir sie mit unseren Fragen führen: Frag so lange nach, bis du es wirklich verstehst – und bis du es einem Kind erklären könntest. Eitelkeit oder falsch verstandene Höflichkeit braucht es hier nicht. Meist freuen sich Forschende sogar über unser Interesse und unseren Willen, ihr Forschungsfeld korrekt begreifen zu wollen. 

Niemand ist objektiv

Schon die Skeptiker in der Antike sprachen uns allen die Objektivität ab. Denn wir sind durch unsere Erziehung, unsere Erlebnisse, Werte und Erfahrungen geprägt. Dadurch gibt es kaum eine Möglichkeit, neutral auf die Welt zu schauen. Das gilt ebenso für Journalist:innen, wie für Forschende und sogar für deren Textpersonen. So sorgt beispielsweise der sogenannte Social Desirablity Bias (soziale Erwünschtheit) dafür, dass die Befragten in Studien häufig dazu neigen, eine geschönte Antwort zu geben, um gegenüber den Fragenden in einem bestimmten Licht dazustehen – oder sie geben eine Antwort, die ihrem eigenen Selbstbild dienlich ist.

Auch bei der Auswertung der Studien kann es zu verschiedenen Verzerrungen kommen, etwa durch die Detection Bias, durch die etwa erwartete Nebenwirkungen verstärkt bei den Probandinnen abgefragt oder Ergebnisse unterschiedlich bewertet werden. Behalte bei der Recherche also immer im Hinterkopf, dass es keine objektive Wahrheit und kein sicheres Wissen gibt. Keine seriösere Person in der Wissenschaft würde jemals behaupten, dass sie im Besitz der Wahrheit ist. Eine Grundlage aller Wissenschaften ist, dass wir uns der Wahrheit annähern, aber alles Wissen vorläufig ist, und nur solange gilt, bis wir es widerlegt haben.

Einen näheren Blick auf Objektivität im Journalismus findest du auf Ethik Heute.

Was meinst du wirklich?

Du bist glücklich? Das freut mich sehr für dich. Doch weiß ich überhaupt, was du damit meinst? Bei vielen Begriffen ist es durchaus möglich, dass der Mensch, der spricht oder schreibt, etwas ganz anderes damit meint, als sein Publikum darunter versteht. Und bei manchen Begriffen wie etwa bei abstrakten Begriffen wie Glück, Freiheit oder Einsamkeit kann die Definition des Begriffs sogar für uns selbst je nach Tagesform variieren. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, sich beim Auswerten von Studien zu fragen, mit welchem Begriff die Forschenden gearbeitet haben. Und diesen Begriff solltest du deinem Publikum kurz erklären. 

Wir können nur sinnvoll miteinander reden, wenn wir uns auf gemeinsame Definitionen einigen. Deshalb solltest du vor alle, wenn du über psychologische und soziologischen Studien schreibst, erklären, was in der Studie untersucht wurde und wie die Studie durchgeführt wurde. Daran kann dein Publikum ablesen, die Ergebnisse zu verstehen sind.

Standards verstehen

Es gibt verschiedene Arten von Studien. Sie unterscheiden sich vor allem darin, ob die Forschenden ihre Probandinnen nur beobachten, befragen oder eingreifen, etwa indem sie beispielsweise ein Medikament verabreichen. Im Aufbau sind sie sich allerdings meist sehr ähnlich. Der standardisierte Aufbau hilft dir dabei, die Studie schneller zu lesen und zu verstehen. Dabei lohnt sich vor allem ein Blick auf die Methodik und die Diskussion. Der Methodenteil informiert unter anderem über die Validität der Studie, darüber, ob 10 oder 10.000 Probandinnen beteiligt waren oder der Test an Mäusen oder Zellkulturen durchgeführt wurde. Dieser Abschnitt zeigt damit, ob sich die Ergebnisse ohne weiteres verallgemeinern lassen. Im Diskussionsteil müssen die Autorinnen unter anderem offenlegen, ob und von wem die Studie gesponsert wurde und ob es dadurch womöglich zu einem Interessenskonflikt kam. Lass das auch deine Leserinnen wissen.

Quelle ist nicht gleich Quelle

Egal, wo du eine Information findest: Suche immer nach der zugrunde liegenden Quelle. Denn es ist auch wichtig, in welchem Magazin oder Journal die Studie veröffentlicht wurde. Es gibt Websites, die Papers nicht oder nur sehr halbherzig prüfen. Deshalb hängt die Glaubwürdigkeit einer Quelle und die Validität auch davon ab, wo die Ergebnisse veröffentlicht wurden.

Deshalb legen seriöse Forschungs- und Wissenschaftsplattformen und Journals großen Wert auf eine eingehende Prüfung der eingereichten Papers und Studien. Als Goldstandard gilt die Peer-Review. Dabei begutachten unabhängige Expert:innen die Einreichung anhand verschiedener Kriterien und geben sie bei Mängeln zurück an die Autor:innen. Danach haben die Forschenden die Möglichkeit, das Paper zu überarbeiten, bis es den Standards entspricht – oder es wird einfach nicht veröffentlicht.

Verweise offen auf deine Quellen und achte immer darauf, dass sie diesen wissenschaftlichen Standards entsprechen.

Vorsicht mit Schlussfolgerungen

Warum lassen sich Margarine-Fans häufiger scheiden? Ein Zufall? Ja! Genau das ist es: Zufall. Und warum ertrinken in Jahren, in denen Nicolas Cage häufiger in Filmen zu sehen war, mehr Menschen in Pools? Ganz einfach: Weil Tyler Vigen so viel Spaß an Statistiken hat. Der Forscher und Buchautor stellt auf seiner Website Verbindungen zwischen verschiedenen Statistiken her. Damit verdeutlicht Vigen eindrücklich den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität. Eine Kausalität ist eine Ursache, etwa: Wenn wir ohne Schirm im Regen spazieren gehen, werden wir nass. Ein Zufall? Wohl kaum. Die Ursache (es regnet) löst immer dieselbe Wirkung aus (wir werden nass). Eine Korrelation dagegen ist ein Zusammenhang, der manchmal auch rein zufällig auftauchen kann. Wie etwa bei den scheidungswütigen Streichfett-Enthusiasten.

Und hier liegt der Studienhase im journalistischen Pfeffer: Denn nur weil zwei Variablen sich ähnlich zu entwickeln scheinen, müssen sie sich längst nicht gegenseitig beeinflussen. Während das bei einer Kausalität einfach ist und wir nasser werden, wenn es stärker regnet, schlittern nicht automatisch mehr Ehen ins Aus, wenn der Absatz von Butterersatz steigt.

Doch auch bei offenbar eindeutigen Studien ist Vorsicht bei der Formulierung geboten: Wenn 200 Hobby-Yogis von sich berichten, dass Atemübungen sie glücklich machen, muss es sich dabei nicht um eine Kausalität handeln. Auch wenn es sich in den Medien gut liest: Atmen muss nicht immer glücklich machen. Und wir sind auch nicht zwingend zum Unglück verurteilt, wenn wir keine Freude an Yoga haben.

Aus Studien können wir selten konkrete Handlungsempfehlungen ableiten.

Nein zu Clickbait

Journalistische Arbeit muss sich immer häufiger an Klickzahlen messen lassen. Da erscheint es verführerisch, mit einer knackigen Headline für ordentlich Klicks zu sorgen. Wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich jedoch selten so leicht zusammenschrumpfen, dass sie in eine fluffige Überschrift passen. Deshalb kommt es immer wieder zu Vereinfachungen oder Verkürzungen, die Studien gelegentlich nicht korrekt wiedergeben. Wenn wir uns die Mühe machen und unsere Worte abwägen, die Ergebnisse in den Forschungskontext einordnen und gründlich erklären, respektieren wir die Arbeit der Forscherinnen – und unsere Leserinnen.

Infos für die eigene Meinung

Auch wenn wir uns das selten eingestehen: Auch wir Journalist:innen denken nie vollständig objektiv. Wir haben Meinungen, Vorwissen und Erfahrungen – und die verstellen uns manchmal den Blick auf andere Meinungen. Guter Journalismus sollte aber immer alle Beteiligten einbeziehen. Das ist wichtig, damit wir einen Sachverhalt vollständig verstehen und einordnen können. Vor allem, wenn du Protagonist:innen mit ihren Meinungen zu Wort kommen lässt, ist immer auch eine Stellungnahme der Gegenseite nötig. Die Faustregel ist: Wir als Medienschaffende liefern die Hintergrundinformationen und unser Publikum bildet sich selbst auf dieser Basis eine informierte Meinung. 

Und wenn dir zum Thema die nötige Distanz fehlt? Dann solltest du den Auftrag oder den Artikel ablehnen und anderen das Feld überlassen.

Komplexes einfach erklären

Sich immer wieder in neue Themen einarbeiten zu dürfen, macht die Arbeit als Wissenschaftsjournalist:in so spannend. Wir recherchieren so lange, bis wir uns von Laien in Teilzeit-Expertinnen verwandelt haben. Dabei können wir schon mal übersehen, dass wir nun mehr wissen als unsere Leser:innen – und sie gedanklich abhängen. Wühle dich tief ins Thema und komme mit einer einfachen Erklärung wieder hervor.

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Foto von Rirri auf Unsplash

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